In Höfn pfiff der Wind, wir blieben nur eine Nacht im Guesthouse am namensgebenden Hafen. Vor der isländischen Version der Krise 2009 hätte das Zimmer mit Waschbecken (WC und Dusche auf dem Flur) knapp 120 Euro gekostet, heuer “nur” etwas mehr als die Hälfte. Tags drauf ritten wir gen Ostfjorde. Irgendwo auf Höhe der vermeintlichen Lachsfarm bohrte sich dann ein zeckenhaft lauernder Stein in unseren linken Hinterhuf – Verzeihung – Hinterreifen. Unbemerkt nahm das Unglück schleichend seinen Lauf und statt Kaffeepause hieß es kurz vorm Ziel erstmal Reifenwechsel. Bei Sonnenschein, ca. 3 Grad Celsius und ordentlich Wind, wie er eben an der Küste pfeift (die Wortwiederholung erachte ich als angemessen). Mit dem (ausgewachsenen, jedoch nicht mit Spikes bewehrten) Ersatzrad fuhren wir anschließend die letzten Kilometer nach Höskuldsstadir. Das Tal liegt etwas landeinwärts und gilt nach unseren Maßstäben wohl als unbewohnt. Dort hat sich vor drei Jahren die Spanierin Maria ihren Traum erfüllt und mit ihrem isländischen Mann eine Farm mit 1.000 Hektar Land gekauft. Unter ihrem Banner Odin Tours Iceland bieten die beiden Unterkunft und Pferdetouren an, gänzlich unaufgeregt gemäß ihrem Slogan “no stress”. Am Ankunftsnachmittag vereinbarten wir die Tölterei für den nächsten Morgen und gingen noch ein wenig auf Schatzsuche. Am Berg oberhalb des Hüttchens liegen kubikmeterweise vom Berg gewaschene Steine, von denen einige gar grünlich glänzten und bisweilen mädchenverwirrend im Sonnenlicht glitzerten. Auf dem Rückweg hinab ins Tal umkurvte uns dann noch eine siebenköpfige Kleinherde Rentiere – es sollte erstmal nicht besser werden. Über Nacht brach das Wetter ein und vermieste uns die Tölterei, so daß wir uns erstmal über den schneeverwehten Pass nach Egilsstadir machten um das Ersatzrad an seinen Bestimmungsort zurückzubringen – unter den Jeep. Knapp 20.000 isländische Kronen für einen gebrauchten Reifen inkl. Montage ärmer traten wir den Rückweg an, den Stein in der Tasche. Tags drauf schneite es sich so richtig ein, so dass Lektüre angesagt war und wir gestern (Sonntag) die 45 Pferde, vier Hunde und zwei Marias (Mamma Maria heißt auch Maria) hinter uns ließen. Über mehr schneeverwehte Pässe gelangten wir des Nachmittags am See Myvatn an, wo wir nun die zweite Nacht am Lavafeld Dimmuborgir (dunkle Burgen) verbringen.
Den heutigen Nachmittag dümpelten wir bei gut 2 Grad Celsius im knapp 40 Grad Celsius heißen Becken des Thermalbads „Jarðböð“, nachdem wir erneut die eurasisch-amerikanische Spalte aufgesucht hatten und zuvor durch das Schlammtopffeld Hverir gestapft sind. Der Vulkan Krafla, nur wenige Kilometer entfernt, hatte schneefrei und war nicht zugängig. Im Wikipedia-Artikel finden sich einige Bilder aus dieser bizarren Gegend – derzeit mehr Eis als Feuer.
Vom See Thingvallavatn ging es nach zwei Nächten zunächst nach Selfoss zum Proviant aufstocken in der lokalen Discounter-Kette Bonus und von dort aus zum nächsten Wasserfall, dem Seljalandsfoss. Bei beiden trafen wir auf eine mehrfach anstrengende Schulklasse, von der wir fürchteten, sie hätte das gleiche Etappenziel, doch weit gefehlt. Während der am Vortag besuchte Wasserfall aus jedem unvorsichtigen Menschen sogleich Fleischpüree mit Knochenmehl im kalten Hautsack gemacht hätte, erlaubt es der zahme Seljalandsfoss sogar, zwischen ihm und der Felswand durchzuschliddern, glatteisbedingt.
Von der Ringstrasse weg und um den bekannten Vulkan Eyjafjallajökull führt die Schotterpiste F249, bis hin zum Ausflugsziel Thorsmörk (Thors Wald). Bereits nach einigen Kilometern des Wegs stand ein Octavia quer, aus der Gegenrichtung kamen zwei Unimog-artige Geräte – allerspätestens hier hätten wir Verdacht schöpfen müssen…
Eine gute Stunde und elf unterschiedlich tiefe und weite Furten später gelangten wir an Furt #12, mit Sichtkontakt zum Tagesziel. Dabei blieb es dann auch, denn der Land Cruiser ist nur geliehen, sicher nicht gegen Schwachsinn versichert und schon gar kein Unimog. Da die Hüttenanlage (Schulwald lässt grüßen) zudem irgendwie unbemannt aussah, traten wir seufzend und fluchend den Rückzug an. Wahrscheinlich saß auf der anderen Seite dort ein Troll und hielt sich den Bauch vor Lachen – das Wasser war uns einfach zu tief. Der Plan B hieß dann Vik, wohin wir eine Tramperin aus Taiwan mitnahmen, die wir unterwegs auflasen. Vik selbst überzeugte uns nicht, so dass wir für zwei Nächte in einer Hütte auf einem Bauernhof am Kap Dyrholaey abstiegen (Hvoll). Von dort aus unternahmen wir gestern eine Wanderung auf dem Gletscher Solheimajökull – bizarre 8 km vom Strand entfernt und in nur knapp 100 m Höhe.
Genaugenommen handelt es sich hierbei um einen 12 km langen Nebengletscher des Myrdalsjökull, der wiederum den seit 1918 nicht mehr ausgebrochenen Vulkan Katla bedeckt. Dieser bricht im Schnitt alle 60 Jahre aus und ist somit längst überfällig… Als wir heute gegen 10:30 Uhr aufbrachen war auch der Schnee vom Kfz getaut – das Zelt-Thema soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Auf halber Strecke nach Höfn, dem heutigen Tagesziel, hielten wir an der Lagune Jökulsarlon, in der Eisberge und Seelöwen um die Wette schwimmen – außerirdisch schön und demnach Hollywood-mißbraucht.
Vorerst. Stattdessen sind wir in einem Ikea-ausgestatteteten Hüttchen am See Thingvallavatn untergekommen. Der herrliche Blick kann hiermit nur angedeutet werden:
Bei Null Grad und Graupelschauer auf jeden Fall die bessere Wahl. Heute waren wir beim namensgebenden Geysir höchstselbst, eine Bewegtbildaufnahme des Spektakels muss wg. Mobilgerät-Inkompatibilität (oder -Inkompetenz?) nachgereicht werden. Danach bewegten wir unseren Toyota Land Cruiser wie 523 andere Fahrer ihre Kfz zum Gullfoss, einem zweistufigen ca. 30 m hohen Wasserfall der sich seine eigene Eiswand schafft, indem die Gischt vom eiskalten Wind an die Wand der Schlucht gedonnert wird und sogleich gefriert.
Ach ja, der Land Cruiser war ein Upgrade vom bezahlten, kleineren Rav4 und die isländische Straßenverwaltung zählt tatsächlich die Fahrzeuge. Auf dem Rückweg tätigten wir einen Abstecher zur Almannagja, der Verwerfung an der Amerika und Eurasien auseinanderstreben und wo vor mehr als 1.000 Jahren das dem Vernehmen nach erste Parlament der Menschheit zusammentrat. Mit Thingvellir hat Island (am Sommersitz des Ministerpräsidenten) eine von zwei UNESCO-Welterbestätten.
Aber nicht, um es wegen aktuell schlechter Wetterbedingungen auf Island wieder im heimischen Keller zu verstauen (Wetter wird bekanntlich vor Ort gemacht, sind wir also positiv). Seit Sonntag stand das Zelt zum Auslüften aufgebaut im Wohnzimmer – ohne Heringe. Nun wartet es auf die finale Packrunde, in deren Zuge bisher unbeantwortbare Fragen nicht mehr länger aufgeschoben werden können: welche und wieviel Urlaubslektüre?, lieber eine Jeans mehr?, brauche ich überhaupt T-Shirts?, etc. Aktuell hat es auf Island 16h Tageslicht, die Schlafbrillen liegen auch schon bereit. Passenderweise beginnt nach dem alten isländischen Kalender heute der Sommer (vgl. hier) – ein gutes Zeichen. Samstag geht es los, man/frau liest sich.
Die “allwissende Müllhalde” (*) sagt “Der Tölt ist eine vererbbare Spezialgangart, die für den Reiter besonders angenehm ist”. Das wollen wir gerne vor Ort herausfinden, Islandpferde sind bekannt für diese zusätzlich zu Schritt, Trab & Galopp existierende Art des Pferdegangs. Da sich unsere Reiterfahrung weitestgehend auf den Hardcore-Trip mit John von Zavkhan Trekking (siehe asia_08) beschränkt, lag nichts näher, als diesen nach Empfehlungen zu fragen. Da sich der Kiwi zumeist zwischen Neuseeland und der Mongolei tummelt, hat er über Facebook seine Gemeinde gefragt, ratzfatz kamen einige Antworten zustande (vgl. https://www.facebook.com/TrekMongolia). Auch wenn das sauteuer ist, die Erfahrung, knapp südlich des nördlichen Polarkreises dem non-existenten Sonnenuntergang entgegenzureiten, möchte ich schon heute nicht missen.
(* Quelle: Tim Pritlove, diverse Podcasts, vgl. http://cre.fm/)