Jetlag in Zeitlupe

26 August 2008

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Nach sieben Tagen im Zug sind wir heute frueh in Ulan Bator angekommen. Hinter uns liegen mehr als 6.000 Bahnkilometer, sechs Zeitzonen sowie ein kurzer Abstecher zum Kreml. Da seit Moskau permanent die Zeit vorgestellt werden musste, haben wir einen kleinen Jetlag, den wir nach der ersten Dusche seit einer Woche mit etwas Extraschlaf bekaempft haben. Auch wenn es sich verrueckt anhoert, vergingen die sieben Tage wie im Flug – auch wenn ausser schlafen, lesen, stricken nicht viel Abwechslung herrschte. Dies galt insbesondere fuer die russische Taiga, die sich endlos am Fenster vorbeischob.

Die Zugfahrt nach Russland begann am Frankfurter Suedbahnhof, fuehrte ueber Fulda (wo wir entschlummerten), Prag (vertraeumt), Warschau (Weckruf) zunaechst nach Brest (Weissrussland). Dort wurden wir nach endloser Warterei (mit verschlossener Toilette) in eine Halle gefahren, wo die Radsaetze wegen der in der GUS abweichenden Spurweite ausgetauscht werden (“Umspuren”). Nach gut vier Stunden setzte sich der Zug dann wieder in gen Osten in Bewegung. Den Grenzuebergang nach Russland ueberquerten wir in der zweiten Nacht gaenzlich ohne Kontrolle – ueber Weissrussland waren wir indirekt auch schon nach Russland eingereist.

Bevor wir von der russischen Hauptstadt aus suedlich des Urals in die Taiga vorstossen konnten, mussten wir die Zugtickets in einem Reisebuero in Moskaus Innenstadt organisieren. Wider Erwarten sind die oeffentlichen Verkehrsmittel ausschliesslich in kyrillischen Buchstaben gehalten, was die Orientierung nicht eben erleichtert. Dennoch gelang es uns, vom Bahnhof Belorusskaja dort hin zu gelangen, die bereits bezahlten Tickets entgegen zu nehmen und nach einem Fussmarsch zum Roten Platz auch den Bahnhof Komsomolskaja zu finden. Nach einer Zwischenetappenkaltschale russischem Hopfenbraeus sind wir dann in den Wagen 5 des Zug Nummer 6 gestiegen.

Waehrend der alle ein bis drei Stunden stattfindenden Stopps auf der transsibirischen Route kann man sich recht gut die Beine vertreten. Angenehmer Nebeneffekt dieser Stopps ist die Moeglichkeit der Versorgung mit dem Notwendigsten: auf dem Bahnsteig wird alles feilgeboten, was waehrend einer solchen Reise sinnvoll erscheint (unter anderem Obst, Gemuese, Fisch, Wurst, Ei, Brot, Wasser, Bier, Vodka, Zigaretten und alberne Muetzen, hier bekannt als Uschanka). Die Route fuehrt von Moskau ueber Jekaterinburg suedlich des Urals hinein nach Sibirien (Novosibirisk, Krasnojarsk, Irkutsk), an die russisch-mongolische Grenze bei Ulan Ude und letztlich in die Hauptstadt der Mongolei, Ulan Bator (“UB”).

Sibirien ist duenn besiedelt, ueberwiegend laendlich gepraegt, baumreich, schier endlos (zumindest den Teil, den wir vom Zug aus sehen konnten). Die Doerfer bestehen groesstenteils aus Holzhaeusern, welche farblich abgesetzte Fensterrahmen haben. Die Gaerten sind meist groesser als das zugehoerige Haus, Vieh jedoch ist kaum zu sehen. Holz- und Kohlewirtschaft wird gross geschrieben, entsprechend viel Gueterverkehr ist auf der Strecke unterwegs. Waehrend der drei Tage in Sibirien scheinte durchweg die Sonne. Was uns wenig nutzte.

Am Tag der Grenzueberquerung zur Mongolei konnten wir den maechtigen, kalten, tiefen Baikalsee bestaunen. Den groessten Suesswassersee der Welt zu umrunden dauert in etwa so lang, wie von Frankfurt nach Moskau zu fahren (> 2.000 km) – wir hingegen sind lediglich vier Stunden am suedlichen Ufer entlanggefahren und danach Richtung Steppe, d.h. Sueden abgedreht. Die Landschaft aendert sich schlagartig – es wird huegeliger und deutlich baumaermer. Der Tag endete mit einer insgesamt sechsstuendigen Aus- und Einreiseprozedur, die ich nicht weiter kommentieren moechte. Doch – Danke, das wir Euer Land besuchen durften.

Nun verbringen wir noch zwei Tage in UB, bevor wir weiterziehen. Der erste Eindruck der Stadt ist wenig berauschend: verstopfte Strassen, Abgase, Betonbauten, Strassenkinder. Macht aber nichts, wir sind wegen der Steppe hier her gereist: laut Plan fahren wir in drei Tagen mit einer kleinen Gruppe zunaechst drei Tage ueber Land, besuchen dabei die alte Residenzstadt Dschingis Khans, Karakorum, satteln anschliessend die Pferde und reiten durchs westliche Altaigebirge in der Provinz (“Aimag”) Zawchan. Die Naechte werden wir in Zelten verbringen, unseren Koch haben wir bereits heute frueh am Bahnhof kennengelernt. Doch darueber im Anschluss zu berichten, scheint sinnvoller.

4 Responses to “Jetlag in Zeitlupe”

  1. Uli Says:

    Ihr Lieben,

    wie wundervoll, von Euch zu lesen! Wie ich gerade mit einem Schmunzeln feststellen durfte, ist es durchaus lohnenswert, beide Einträge, den deutschen und den englischen, zu lesen. Während Tom den Umfang des Baikalsees in km angibt, schreibt Ju von einem wundervollen Sonnenaufgang… Das ist … niedlich :)!

    Es klingt alles so surreal, Sibirien, Holzhäuser, Steppe… Da kommen einem ganz viele alte Filme in den Sinn (von Märchen bis Dschingis Khan), in die Ihr in meiner Phantasie nicht so recht passen wollt. Umso spannender werden wohl die Fotos!

    Herzlichst, Uli

  2. M+V Says:

    Hallo Ihr beiden,
    es ist wieder herrlich Eure Reiseerlebnisse zu lesen. Man kann es beihnahe miterlebt haben.
    Euch weiterhin spannende Eindrücke und uns tolle Seiten zu lesen.
    Bleibt schön gesund.

    Liebste Grüße Eure M+V

  3. ermanna Says:

    Girl! Happy to hear from you!A big hug…the travel has just started 😉

  4. Werner Sonne Says:

    Es macht einfach Spaß euren Blog zu lesen! Wirklich sehr gut!

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