Entgegen unserem ursprünglichen Plan, in Harpers Ferry auf den Appalachian Trail (AT) zu gelangen und von dort aus zu wandern, folgten wir dem Tipp unserer Gastgeberin Sue und fuhren gen Süden, zurück nach Virginia wo die Blue Ridge Mountain Road vom Harry Byrd Highway abzweigt. Dort befindet sich am Bearden Park ein Zugang zum AT. Und in direkter Nachbarschaft ein alternativer Regierungssitz, Mount Weather. Jared zufolge hat im September 2001 der damalige Vize-Präsident Dick Cheney diesen Ort aufgesucht, als sich Präsident Bush Jr. in Florida aufhielt und ein Flugzeug ins Pentagon gerast war. Unnötig zu sagen, dass auch dieser Ort Schauplatz einer Akte X-Folge war – schließlich fuhren Dana Scully und Fox Mulder permanent im Umland von Washington, D.C. rum. Der AT war kaum besucht, so dass wir weitgehend ungestört wandern konnten. Es liegt in der Natur des Trails, dass es keinen Rundwanderweg gibt. Demnach mussten wir an irgendeiner Stelle kehrt machen und umkehren. Viel mehr als ein erster Eindruck war nicht drin, immerhin hatten wir einen schönen Ausblick ins Shennandoah Valley. Leider hört man an jeder Stelle den nahegelegenen Highway. Ach ja, es war verdammt heiß. Da der Wanderweg im Wald verlief, ließ es sich gerade noch aushalten. Dennoch waren wir froh über die Klimaanlage nach Rückkehr in unseren gemieteten Ford Crown Victoria LX.
Vom Parkplatz aus nahmen wir die knapp 25 Meilen lange Snickersville Turnpike bis Aldie und fuhren von dort aus gen Leesburg. Die Gegend ist sehr beschaulich mit riesigen Grundstücken, endlosen Steinmauern, vermutlich stinkreichen Pferdezüchtern. Die Straßen sind eng und Immobilienpreise außerirdisch (“custom houses from 1.5 million”). Nach einem Abstecher zu einem dramatisch klimatisierten Farmer’s market und einem Supermarkt, bei dem die Eltern zumindest eines Angestellten zu eng verwandt waren, nahmen wir einen Kaffee in Leesburg. Nicht jedoch, ohne die “Schulbus-Erfahrung” zu machen. Fährt ein ebensolcher rum, ist er ein regulärer Verkehrsteilnehmer. Hält er an, hat man ebenfalls zu stoppen, egal wie absurd die tatsächliche Situation sein mag. Sollte man also im langsamer-als-Schritttempo an einer T-Kreuzung versuchen, im 90 Grad-Winkel am Bus vorbeizurollen, wird man im Ansehen der Anwohner sofort auf eine Stufe gestellt mit Elias Abuelazam, einem Serienkiller aus Ramla, (Israel) der in einem Krankenhaus in Leesburg arbeitete, bevor er bei einem Stopp im Straßenverkehr von Arlington festgenommen wurde. Ob ein Schulbus beteiligt war, ist nicht überliefert.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Leesburg fuhren wir dann zurück nach Charles Town, wo wir bei einem in die Länge gezogenen Abendessen (Nudeln mit Zutaten vom Farmer’s Market an Rotwein) mit den Eingeborenen die Vorzüge und Nachteile vom Leben in Deutschland und den USA ausloteten.
Hatte ich erwähnt, dass Parken in Washington die Hölle ist? Dienstag war dann wieder Werktag und die Straßen rund um Bagel, etc. waren dicht. Voll. Zu. Also ab ins Parkverbot und Ju gesandt, ein Frühstück zu erlegen. Nicht ohne dünnen Kaffee, selbstredend. Von der P-Street ging es dann stur gen Norden, zur Washington National Cathedral. Dort sollte dem Vernehmen nach ein Wasserspeier in Gestalt des Dunklen Lord der Sith, Darth Vader angebracht sein. Von unserem Beobachtungsposten aus, einem PARKPLATZ direkt neben der Kirche zweifelten wir frühstückenderweise. Nachdem die Bagels vertilgt bzw. auf T-Shirt und Jeans verteilt waren, enterten wir das Gelände. Und tatsächlich, reichlich Wasserspeier mythischer Gestalt, jedoch keine Star Wars-Figur. Kurz vor der Genickstarre, eigentlich schon auf dem Rückweg zum Parkplatz, ein Geistesblitz – Freund Google fragen! Die Antwort kam prompt, eine Aufnahme die uns beim Suchen half. Und tatsächlich, verdammt weit oben (die Kathedrale, in der Beerdigungensgottesdienste für Ronald Reagan, Harry Truman, Richard Nixon, Dwight Eisenhower, William Taft und weitere US-Präsidenten abgehalten wurden, misst mehr als 90m) thront der erste Krieger des Imperiums über der Hauptstadt von Columbia. Irgendwie bezeichnend. Hier eine Aufnahme, wie sie vom Boden aus nur mit Profi-Equipment zu machen ist.
Beschwingt von der Sichtung zurück zum Auto, quer durch Georgetown (gemeinsam mit Alexandria weiter im Süden das ursprüngliche Washington) und ab durch die Mitte. Doch die dunkle Seite der Macht zog uns nochmal an, auf dem Weg zum nächsten Zwischenziel lag zufällig das Hauptquartier des Auslandsnachrichtendienstes CIA. Abgeschirmt im Wald liegend, führt die Zufahrt über eine Brücke, nach deren Querung man direkt auf einen Schlagbaumwald zufährt. Da wir nicht wirklich einen Termin hatten, entschieden wir uns spontan für den U-Turn direkt davor, um nicht dem grimmigen, vermutlich outgesourcten Sicherheitspersonal unser Anliegen erklären zu müssen. Kaum ernster gemeint war anschließend der Zwischenstopp in Germantown, Maryland. Ausreichend Parkplätze, mieser Kaffee, tiefgekühlte öffentliche Bibliothek. Aber: angeblich Schauplatz mehrerer Akte X-Folgen. Zuhause kann daraus nur folgen: ab ins Archiv.
Ein ernst gemeinteres Zwischenziel war kurz darauf Harpers Ferry, West Virginia. Harpers Ferry liegt ebenso wie Washington, D.C. am Potomac River (und am Shenandoah, der hier in den Potomac mündet). Drei Schritte in eine beliebige Richtung und man wechselt den Bundesstaat (wahlweise West Virginia, Maryland, Virginia). Das 300-Seelennest zählt acht öffentliche Parkplätze und ist eine der wenigen Orte, die AUF dem Appalachian Trail (einem 3.500km langen Fernwanderweg an der Ostküste) liegen. Historische Bedeutsamkeit erlangte der Ort durch seine Lage an der Mason-Dixon-Linie (vereinfacht gesagt, der Grenze zwischen den die Sklaverei befürwortenden Staaten und solchen, die gegen die Sklaverei waren) und permanentem Wechsel zwischen den Einflussgebieten der Nord- und Südstaaten (permanent meint 12 mal, letztlich sollten die SüdNordstaaten siegreich bleiben). Der Mann vom Fremdenverkehrsamt, zu seiner Militärzeit stationiert in Schweinfurt, gab uns den Hinweis, dass die Geschichte von John Brown in Bezug auf Harpers Ferry überbewertet sei. Bleibt daher hier auch nur eine Randnotiz.
Nach dem Abstecher ins geschichtsträchtige Harpers Ferry hieß unser finaler Stopp Charles Town, West Virginia. Über die Internetplattform AirBnB haben wir die Geologin Sue aufgetan, die dort ihr Zelt in einem herrlichen Haus aufgeschlagen hat und derzeit mit ihren Untermietern Morgan und Jared teilt. Der Charme einer solchen Unterkunft ist direkter Kontakt zu Eingeborenen, gemeinsames Kochen und gegenseitiges sich-die-Welt-erklären. Sue und Co. sollten vorerst die letzten Demokraten sein. Doch dazu später mehr.
Es kann nicht genug darüber geflucht werden: Parken in der Haupt-/Planstadt, in der man bei einem Fußmarsch in jedwede Richtung auf irgendein Gebäude stößt, dass man aus den Nachrichten, der Zeitung oder einer beliebigen Folge Akte X kennt. Genauer: potentiell zur Verfügung stehender Platz in Verbindung mit (absichtlich?) unklarer, uneindeutiger, widersprüchlicher Beschilderung. Dass dies nicht auf mangelnde Sprachkenntnis zurückzuführen ist, bestätigt eine spontane Umfrage vor dem lokalen Supermarkt bzw. zahllose Blogeinträge und Leserbriefe. Keiner der Befragten (inkl. Internet) war in der Lage, uns Auskunft darüber zu geben, was genau dieses Schild
bedeutet, falls Montag ein Feiertag ist (normalerweise hingen zwei solcher Schilder übereinander inkl. unterschiedlicher Farben, Wochentage, Uhrzeiten). Dennoch wagten wir das Experiment “O-Street Parking”. (Die Straßen sind ausgehend vom Kapitol nach Westen hin aufsteigend durchnummerierrt und gen Norden ebenso buchstabiert.) War ja auch Sonntag und Montag Feiertag (Tag der Arbeit bzw. hier “Labor Day”). Obwohl unklar, ob wir Montag das Auto schon um sieben oder erst um neun Uhr fortbewegen mussten, pokerten wir – und gewannen.
Bewaffnet mit einem Frühstück von Bagel etc. (Rührei auf Bagel, ungesalzen und passend dazu dünner Kaffee) fuhren wir über den Potomac River nach Arlington, Virginia. Dort befindet sich in direkter Nachbarschaft des US-Verteidigungsministeriums der Nationalfriedhof Arlington. Gestärkt vom Frühstück auf dem Parkplatz erwanderten wir eine winzige Teilmenge der lt. englischer Wikipedia 400.000 Gräber. Am prominentesten wacht eine ewige Flamme über John Fitzgerald Kennedy, Jackie O. und zwei sehr früh verstorbene Kinder (eine Totgeburt, ein nach zwei Tagen verstorbener Junge), etwas abseits die Brüder Ted und Bobby Kennedy. Die Verbundenheit der Amerikaner mit ihrem Militär kommt nirgends mehr zum Ausdruck als an den Gräbern der unbekannten Soldaten, wo Gebeine von Stellvertretern aus den Weltkriegen I, II, dem Koreakrieg und dem als “Konflikt” verklärten Vietnamkrieg ruhen und speziell ausgebildete Soldaten seit 75 Jahren ununterbrochen ihre Runden drehen. Dass das alles kein Spaß ist zeigt die Sektion 60, wo zwanzigjährige Grünschnäbel ihre letzte Ruhe finden, die ihr Leben in zeitgenössischen Einsätzen (vgl. Operation Desert Storm, Operation Enduring Freedom) ließen. Hier der Grabstein eines nur unwesentlich Älteren:
Nachdem unsere dortige Mission accomplished war, verließen wir diesen bizarren Ort mit seiner Architektur zwischen griechischer Antike und Albert Speer.
Unser Katastrophentourismus nahm seine Fortsetzung am benachbarten Pentagon. Die Spuren des American Airline Fluges 77 sind, obschon alles repariert, von der Seite des Denkmals für die Opfer des 11. Septembers immer noch zu sehen, da sich der Stein, der im Zuge der Bauarbeiten verwendet wurde, farblich vom ursprünglichen abhebt.
Nach wie vor landen Flugzeuge am Inlandsflughafen Ronald Reagan, in direkter Nachbarschaft. Mit der Geschichte des 11. September im Hinterkopf, der sich am morgigen Dienstag zum elften Mal jährt, wirkt auch dies bizarr. Genauso wie das Fotografierverbot des Geländes des Verteigungsministeriums. Aber auch dieses Mosaiksteinchen Widersprüchlichkeit macht die USA zu dem, was wir auch im alten Europa über sie denken. Das Denkmal indes kommt reichlich unmartialisch daher. Es verdient den Titel, wenngleich andächtige Ruhe aufgrund des benachbarten Freeway sich nicht einstellen will.
Nach soviel aufs Gemüt drückenden Orten war es Zeit, zurück ins hier und jetzt zu kehren. Das kann hier bestens mit einem Besuch einer Shopping Mall erreicht werden. Einen AT&T Datentarif für das iPad später sowie dem Erwerb weiterer Konsumgüter, zu denen hier nicht weiter ausgeführt werden soll, befanden wir uns auf dem Weg zum National Museum of Natural History in Washington, D.C. Sofort nahm das gute alte Parkplatzspiel seinen Lauf, dessen wir verhältnismäßig schnell überdrüssig wurden. Daher, in den sauren Apfel beißend, das Auto flugs in der Garage des Hotels verstaut und ab ins Café. Diesmal kein Grünes, trotzdem Franchise. Abendessen gab es abschließend im Thai Tanic, primär wegen des cleveren Namens ausgewählt. Keine weiteren Vorkommnisse.
Mit Ausnahme des Taxi-Themas. Besser: des Parkplatz-Themas – auf 92 US-Dollar und vier Cent belief sich die Rechnung beim auschecken tags drauf. Und der Valet-Typ wollte tatsächlich ein Trinkgeld. Dies blieb ihm trotz Weltklasse-Leistung leider verwehrt. Ein Aufruf: niemals mit dem Mietwagen NACH Washington, D.C. Immer nur RAUS. Dazwischen: Taxi. Kommt billiger, schont Nerven.
Wir sind gestern in New York City angekommen. Erwartet wurden wir von einem apokalyptischen Wetterszenario, irgendwie passend zu dieser Stadt. Die Wetterhölle spielte sich über Brooklyn ab, während wir über den Lincoln Tunnel nach Manhattan fuhren, wo wir uns stoisch am Central Park vorbei gen Norden vorarbeiteten. Untergebracht sind wir in einer Privatwohnung in Harlem, die für die nächsten Tage gänzlich uns gehört. Den gestrigen Abend ausklingen lassen haben wir mit American Psycho auf DVD, inspiriert von Phil Collins Sussudio welches wir bei Rückgabe des Mietwagens im Autoradio gehört haben. Nun heißt es Big Apple per pedes.
Über die letzte Woche wird gesondert berichtet, man liest sich.
Unser Hotel in der Hauptstadt haben wir gestern Abend wie geplant bezogen. Es liegt in der 16. Straße nördlich von Obamas (Noch-?) Wohnzimmer, perfekt gelegen für exzessive Fußmärsche. Heute sind wir dann auch gleich mal gut 14 km gelaufen und haben dabei unter anderem folgendes gesehen:
Die Wettervorhersage für die nächsten Tage klingt bescheiden, auch heute hat es immer wieder mal geregnet. Wir werden also Zeit für ausgiebige Kaffeehausbesuche haben, auch wenn diese in hiesigen Gefilden doch arg uniformiert grün-weiß daherkommen… Wenigstens ist der Internet-Zugang für lau. Das kann man von Parkplätzen übrigens nicht behaupten: das ohnehin nicht günstige Hotel berechnet für “Valet Parking” schlappe 39$ die Nacht. Plus Steuern, versteht sich. Empfehlung des Tages ist daher das “Indian Delight” im Foodcourt im Keller der alten Post (Pennsylvania Ave.). Dort haben wir heute gegen 14 Uhr fantastische Samosas und Dosa gefrühstückt (vgl. Kaffeehauskultur). Abendessen gibts aus dem Supermarkt, irgendwie müssen wir die Parkgebühren ja wieder reinholen…